Ordinationsgarten

Seit 1992 Lehre in der Praxis

Formen des Karrieregesprächs

Gute Lehre findet aber nur statt, wenn regelmäßig evaluiert oder abgefragt wird, wie weit das Projekt „Heranführung zur Allgemeinmedizin und Stärkung der hausärztlichen Kompetenz“ vorangeschritten ist und welche Themen noch offen sind.

Warum sollten wir da nicht, wie ursprünglich vorgesehen, das Rasterzeugnis dazu heranziehen? Es bietet, solange es nicht offiziell ein neues Curriculum zum Facharzt für Allgemeinmedizin gibt, einen probaten Leitfaden, um die meisten Themenkreise unseres Faches abzuarbeiten. Dies kann in verschiedener Weise geschehen.

Einfachste Möglichkeit der Überprüfung der Vielfalt der eigenen Lehrtätigkeit und der Fortschritte der Jungärzte ist das Karrieregespräch. Erfahrungsgemäß braucht man 3 Monate, um nur annähernd alle Aspekte allgemeinmedizinischen Handelns erörtert oder angerissen zu haben. Ab dann sollten die jungen AssistentInnen eigene Aufgabenbereiche übernehmen können und über das Maß der reinen Ausbildung zu selbständigen Wissenserwerb (z.B. durch Studien etc.) angeleitet werden. Es ist also eine sinnvolle Maßnahme, nach etwa 2 Monaten, dem Jungarzt/der Jungärztin das Rasterzeugnis zu übergeben und nach einigen Tagen eine gemeinsame Besprechung der Inhalte durchzuführen. Dabei kann man zu zweit herausarbeiten, welche Themen noch nicht vorgekommen sind oder wo Verbesserungsbedarf auf Seiten der LehrärztInnen besteht. So kann man schon am nächsten Tag die Einsatzgebiete der LehrassistentInnen verändern oder z.B. die zufällig noch immer nicht stattgefundene Notfallübung in der Praxis nachholen. Bisher fehlende Lehrinhalte können sofort als Prioritäten gesetzt werden. Damit kann man auch gut organisatorisch Lücken schließen. Z.B. kommt man drauf, dass wegen Terminkollisionen nie die Teilnahem an einer Mutter-Kind-Paß-Untersuchung möglich war. Oder man kann persönliche fachliche Vorlieben von Assistenten herausfiltern und als Kontrapunkt dazu sie auf eher stiefmütterlich behandelte Bereiche hinführen.

Ich persönlich habe dies inzwischen durch einen begleitenden, strukturierten Dokumentations-Prozess ergänzt und arbeite laufend „mein“ auf meine Ordination abgestimmtes kommentiertes Rasterzeugnis mit der Kollegin/ dem Kollegen ab. Das sieht in meinem Fall folgendermaßen aus: Über die Jahre habe ich zu den einzelnen Punkten des Rasterzeugnisses stichwortartige Erläuterungen oder Bemerkungen verfasst, die den Lernzielkatalog auf den gelebten Alltag meiner Praxis und meiner Arbeitsweisen und Ressourcen ergänzen. Auch konnte ich wesentliche Punkte hinzufügen, wie zB. die Kapitel Fehlermanagement, Qualitätssicherung, allgemeinmedizinische Forschung, work-life-balance etc. Dieses Word-Dokument wird immer wieder im Hintergrund meiner Praxissoftware am Desktop geöffnet und unterstützt Tutorials und hilft, diese strukturieren. Das Besprochene wird dann in dem Dokument in eine andere Farbe umgefärbt. So entsteht eine Auflistung der bereits erarbeiteten Inhalte und das, was noch zu erledigen ist, bleibt schwarz. Jederzeit ist so der aktuelle Ausbildungsstand abrufbar.

Wer sich diese kooperative Dokumentation der Lehrinhalte und des Lernfortschrittes nicht antun möchte, kann auch seinen Assistenten/seine Assistentin ein Logbuch führen lassen. Die Erfahrung zeigt jedoch, dass solche alleine durchgeführten Aufzeichnungen sehr von der Tagesverfassung und dem Arbeitsdruck abhängen und oft wesentliche Inhalte auf der Metaebene unseres Faches übersehen.

Beziehungsdynamiken, die genutzt werden

Sind diese Integrationsschritte einmal erfolgreich geleistet, kann man zusätzlich die verschiedenen Beziehungsebenen in einer allgemeinmedizinischen Praxis weiter nützen:

Die Triade Mentor – Assistent – Patient ist ein wertvolles Biotop, in dem gegenseitige Beobachtung, Reflexion und offenes Fragen wesentliche Erkenntnisse der Arztpatientenbeziehung besser aufdeckt als jede theoretische Vorlesung oder gestelltes Rollenspiel. Dazu ist von vornherein auf ein offenes Klima für Lehre in der Praxis zu sorgen, sodass die Patienten in diesem Prozess eine besondere Wertschätzung erleben und erkennen, dass man sich in dieser Ordination besonders um sie kümmert. Hilfreich dabei sind natürlich Hinweisschilder und Vorstellungsplakate in Anmeldung und Wartezimmer und auch die Bekanntgabe von besonderen Leistungen und Aktionen der Praxis und seiner Mitarbeiter und LehrassistentInnen.

Auch der singuläre Kontakt des Jungarztes mit einzelnen Patienten in einem eigenen Sprechzimmer führt durch oft völlig andere Zugänge bei individuellen Fragestellungen anders als in gewohnten sonstigen Kontakten zu oft völlig neuen Erkenntnissen und neuer Bewertung der Beschwerden durch den Patienten und des universitären Wissens durch den Jungarzt.

Auch die Beziehung Jungarzt/Jungärztin zur Ordinationshilfe ist ein wertvolles Lernfeld. Hier kann vermittelt werden, dass auch andere Mitarbeiter anderer Gesundheitsberufe Kompetenzen einbringen, die man zumindest ansatzweise wissen sollte und man berücksichtigen sollte, dass die eigene Arbeit oft nur so zufriedenstellend gelingen kann. Auch zwischen diesen beiden kann Wissensaustausch stattfinden und somit Qualitätsverbesserung und Kompetenzerweiterung. Nicht zu unterschätzen die damit verbundene Steigerung der Wertschätzung der Mitarbeiterinnen.

Sonderfall Visite

Seit Jahren wird unter Lehrpraxisleitern diskutiert, ob und wieweit man JungärztInnen auf Visite schicken kann. Engagierte KollegInnen haben in einem Qualitätszirkel sich Kriterien erarbeitet, wie dies sicher und ohne wesentliche Risiken geschehen kann. Natürlich gilt wieder das Prinzip „Schritt für Schritt von der Leine lassen“. Also Beginn mit reinen „handwerklichen“ Visiten mit klar umgrenzten Aufgaben wie Laborabnahmen, Zuckermessung, Verbandswechsel etc, wie es auch Ordinationshilfen machen können. Dann Kontrollvisiten nach gemeinsamen Erstvisiten, dann allmählich einzelne Visiten zu schon am Telefon eindeutig vortriagierten Fällen mit klar umgrenzten Fragestellungen. Aber bei im Turnus fortgeschrittenen KollegInnen, die vielleicht bald das Ius practicandi erhalten, können schließlich durchaus unselektiert Patienten besucht werden. Entscheidend ist die Rückversicherungsmöglichkeit beim Lehrpraxisleiter,

Die Visite in der Lehrpraxis
Aus „Tipps und Tricks aus der Qualitätszirkel-Kiste“
  • Vorbesprechung ist wichtig, der Lehrpraxisleiter kennt Patienten und Umfeld und kann de Jungarzt auf Eventualitäten vorbereiten. Auch vorbesprechen, auf welchem Wege Rückfragen möglich sind, wenn der TA vor Ort ist.
  • Kartei? Als sinnvoll wurde erachtet, dem TA einen Karteiauszug oder ein „Patientenblatt“ mitzugeben, auf dem die letzten Konsultationen, Dauerdiagnosen, Dauermedikamente und Risiko-Hinweise vermerkt sind. Übrigens sind die meisten EDV-Programme dazu in der Lage;
  • Als Ausrüstung sollte der TA einen eigenen Visitenkoffer haben, den er selbst immer wartet und auf dem neuesten Stand hält. Vorbild ist der Koffer des Chefs in reduzierter Version.
  • Welches Auto benützt wird, ist eine Frage der Organisation (mit 2 Autos lassen sich Visiten parallel machen) und der Versicherung. Eine Kurzkaskoversicherung wäre eine Lösung, wenn der TA sein Auto benützt. Ein 2.Auto sollte bereit sein (notfalls der Ordinationshilfe), falls man nachberufen wird
  • Unerwartete Situationen sind nie ganz auszuschließen. Am ehesten, wenn man die Turnusärzte nur zu geplanten Situationen schickt. Allerdings conditio sine qua non ist die ständige Erreichbarkeit des Lehrpraxisleiters über Handy !! Dieser sollte auch in einer angemessen kurzen Entfernung sein und nicht am anderen Ende seines Hausbesuchsreviers!
  • Auch unerwartete zusätzliche Patienten sollten vom Turnusarzt nur übernommen werden, wenn eine klare Rückmeldung an den Lehrpraxisleiter erfolgt ist.
  • Neuverordnungen von Medikamenten durch den Turnusarzt sollten nur nach Abschätzung seiner bisherigen Erfahrungen zugelassen werden. Besser ist der Vorschlag bei der Nachbesprechung und evtl. eine zweite Visite durch den TA am nächsten Tag.
  • Notfälle: Schon am Beginn der 6 Monate Lehrpraxis sollte eine Praxisnotfallübung stattfinden, auch damit der TA weiß, wo alles ist.
  • Der Turnusarzt sollte gerade bei der Visite zu einer genauen und detaillierten Dokumentation angehalten werden. Die erhöhte Verantwortung als de facto alleine Handelnder lässt mehr Dinge überlegen, als im geschützten Bereich der Ordination.