Die aktuelle Lage? Nicht gerade rosig. Ich beobachte die Situation einerseits persönlich in meinem Praxisalltag und bei meiner Nach-Nacht-Arbeit in den Medien nebenher.
Meine persönliche Befürchtung (und warum sollte ich in den letzten 20 Monaten das erste Mal irren) ist, dass das chaotische Regieren und der zynische Parteienzank angesichts der Katastrophe zu einem Zerbröseln unseres gut vernetzten und doch noch immer halbwegs strukturierten Gesundheitssystems führen wird.
Was meine ich damit: jede „Wochenenderklärung“ der Regierung führte zusätzlich zum Anwachsen der Pandemie zu einer völligen Verstopfung der Kommunikationswege, zur Ablehnung von Patient/innen auf höheren Versorgungsebenen und zur Unmöglichmachung, als Case-Manager oder Gate-Keeper meine Patient/innen durchs System zu leiten.
Telefonisch konnten wir Fachärzte oder Ärztinnen und Ambulanzen nicht mehr erreichen, Patient/innen wurden abgewiesen oder trotz Zuweisung nicht mehr ernst genommen. 1450 war stundenlang nur ein einziges Tut-tut-tut. Unsere eigenen 2 1/2 Telefonleitungen waren mit teils sinnlosen Anfragen zugemüllt: kein Patient konnte zeitweise rein, wir nur noch über eigene Privathandys raus.
Viele riefen z.B. 1 Woche vor ihrer planmässigen Verständigung zum dritten Stich bei uns an, wann sie endlich die Verständigung dazu bekämen – ein schweres Versagen der Medien (die haben auch Verantwortung), diese Lawine loszutreten, und der staatlichen Medienpolitik (die haben das Geld). Ich denke da an die Verkehrsmeldung mancher Baustellen in Graz, über Wochen immer mit dem selben Text, das ist Message-Control, die hilft! Dagegen wurde wertvolle Informationszeit (einfach, redundant, für den Laien einprägsam) vergeudet mit sensationsheischender Berichterstattung, wer wem in der Regierung wieder die Augen auskratzt.
Was wird die Folge sein: wir Primärversorger(innen) – egal ob Einzelkämpfer, Gruppenpraxis, PVE – werden binnen kürzester Zeit Insellösungen sein, die erhöhte Expertise und Ressourcen einsetzen müssen, um die Bevölkerung weiterhin breit versorgen zu können. Und wir werden Verantwortungen im üblichen Krankheitsgeschehen übernehmen müssen, die wir uns nicht so leicht erträumt haben. Nur unsere nächsten Netzknoten, das sind Hauskrankenpflege, niedergelassene Physios und alte Facharztkooperationen werden uns zur Verügung stehen, um unseren Auftrag zu erfüllen, denn nur noch die kurzen und oft informellen Kommunikationswege werden offen stehen. Einen Auftrag, den es in Österreich nie klar gegeben hat und für den wir nie finanziert worden sind. Wenn die Sozialversicherung ihre Bestimmungen nicht aufmacht, Limite wegräumt, bei uns die Visite (oft mit vermehrten Schutz oder mit begleitender Assistentin etc.) nicht besser honoriert, nicht EKG, Sono udgl. für die Primärversorgung unbegrenzt freigibt und und und (alles was man seit Jahren langsam erhöhen hätte können), dann werden wir das alles nicht zufriedenstellend schaffen und wird die Bevölkerung Schaden erleiden.
Notwendige Vernetzungen sind nie gefördert worden und wir wurden dafür auch nicht ausgebildet. Viele haben also damit, mit den herannahenden Herausforderungen, wenig Erfahrung und werden angesichts dessen, was auf uns zukommt auch nicht von heute auf morgen lokale Krisenmanager/innen werden können. Wiewohl ich anerkennen muss, dass viele Kolleg/innen in der Niederlassung in den letzten 20 Monaten ungemein kreativ in Lösung von Problemen und dem Ausstatten sicherer Covid-Ordinationen waren.
Letzte Erfahrung der vergangenen Tage: Wir impfen inzwischen nicht mehr, unsere Nachbarkolleg/innen legen sich bei den Stichen dafür gehörig ins Zeug. Danke! Aber die Folge ist, dass wir zunehmend Patient/innen von ihnen in unsere Akutversorgung übernehmen müssen, weil diese dort wegen Überlastung der Kolleg/innen nicht mehr unterkommen. Die Zahl der Kassenstellen nahm ab trotz massiver Bevölkerungszuwächse (in Graz von 230.000 auf 290.000 bei gleich vielen Kassenstellen), und jetzt gehen wir mit dieser Pandemie ans Limit…
Und schließlich das wehleidige Jammern um den leidigen totalen Lockdown für 2-3 Wochen. Die voll Geimpften seien frustriert, dass sie sich zuvor so bemüht hätten und jetzt könnten sie nicht mehr frei ausgehen. Sie kapieren nicht, dass ihr eigenstes Intensivbett bei Unfall oder Herzinfarkt einfach weg sein wird, wenn die Welle so weiter geht. Auch das ist die Folge der Unfähigkeit vieler Medien. Solche Botschaften müssten einfach formuliert längst täglich in der Dauerschleife laufen.
Apropos: Die Long-Covid-Patienten landen schlussendlich alle bei uns! Soviel zum Szenario der nächsten 3-5 Monaten. Ob diese Schäden dann je repariert werden können, ist mehr als fraglich.
So, jetzt arbeite ich weiter